Insolvenzen in Deutschland: Warum die aktuellen Zahlen keine Wirtschaftskatastrophe bedeuten

Der jüngste Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland wird häufig als rein nationale Wirtschaftsgeschichte erzählt. Doch Deutschlands Rolle als einer der zentralen Ziel- und Exportmärkte Europas macht die Entwicklung untrennbar mit globalen Handelsströmen verbunden. Veränderungen in internationalen Lieferketten, verschärfte Zollregime oder Standortverlagerungen wirken sich direkt auf deutsche Unternehmen aus – und damit auf die globalen Wertschöpfungsketten, in die sie eingebettet sind. Wer diese Zusammenhänge versteht, erkennt, dass die aktuellen Zahlen nicht isoliert betrachtet werden dürfen.

Derzeit ist in vielen Medien vom Beginn einer dramatischen Insolvenzwelle in Deutschland die Rede. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt, dass vieles eher eine Normalisierung nach jahrelang künstlich gedrückten Werten ist. Nach dem pandemiebedingten Rückgang der Unternehmensinsolvenzen durch staatliche Hilfen und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht steigen die Zahlen nun wieder auf ein normales Niveau.

So wurden 2023 rund 17.814 Unternehmensinsolvenzen registriert – ein Plus von 22,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aber immer noch rund fünf Prozent weniger als 2019 und weit entfernt von den über 30.000 Fällen während der Finanzkrise 2009. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft verweist darauf, dass 2024 mit geschätzten 22.400 Fällen noch immer deutlich unter dem Krisenniveau von 2003 liegt, als es über 39.000 Insolvenzen gab.

Während der Pandemie brachen die Insolvenzzahlen vor allem durch Stützungsmaßnahmen wie Kurzarbeit und Hilfskredite stark ein. Diese Effekte lösen sich nun auf, was den aktuellen Anstieg erklärt. Auch das Bundeswirtschaftsministerium bewertet die Entwicklung eher als Folge des Endes dieser Sondermaßnahmen und der Zinswende – nicht als Zeichen eines strukturellen Zusammenbruchs.




Ein differenzierter Blick zeigt zudem deutliche Unterschiede zwischen Regionen und Branchen. In einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Bremen oder dem Saarland liegen die Insolvenzzahlen teils noch immer unter dem Niveau von 2018, teilweise um bis zu 17 Prozent niedriger.

Im Handwerk wurden 2024 etwa 4.350 Insolvenzen gezählt. Das ist zwar ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr, wird vom IWH aber nicht als „Flutwelle“ bewertet. Vielmehr seien vorrangig kleine Betriebe betroffen, während das Risiko von Ansteckungseffekten für die Gesamtwirtschaft begrenzt bleibt.

Historisch betrachtet sind die aktuellen Zahlen ebenfalls moderat. Im Jahr 2012 gab es knapp 26.000 Unternehmensinsolvenzen, 2009 sogar über 32.000 Fälle. Das aktuelle Bild ist also eher punktuell angespannt als systemisch kritisch. Eine echte Insolvenzwelle wäre wesentlich breiter und würde nahezu alle Branchen und Regionen gleichmäßig erfassen.

Der derzeitige Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist kein Beweis für einen bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch. Vielmehr handelt es sich um eine Rückkehr zur Normalität nach einer langen Phase künstlich niedrig gehaltener Werte. Historische Höchststände sind nach wie vor weit entfernt, und regionale wie sektorale Unterschiede sprechen gegen das Bild einer flächendeckenden „Pleitewelle“.


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